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Walter, willst Du ewig warten ?

Walter | Text: Jim Brutto (1972)

I.
Behutsam umschloß Walter seine grüne Gurke, die er sich eben beim Geschmuse der Gemüsefrau erstanden hatte.. Oja, er mochte grün. Er dachte an die Sonne, und daß der Zug gleich kommen müßte. Vor ihm hing der rot-weiß gestreifte Schlagbaum in der Luft. Walter atmete schwer. Immer wenn er hier vorbeikam, war die Schranke geschlossen. Walter bog sich hinüber. In der Ferne sah er ein schwarzes Loch, das allmählich den Himmel füllte. Walters Brustkorb war nicht gerade stark, doch er konnte in gebeugter Haltung einiges vertragen. Der Zug pfiff vorbei. "Länge über Puffer" las er im Vorbeifahren, und die Säue im letzten Viehwagen staunten verquiekt durch die Latten in die Ferne.

Walter hechelte mit den Händen durchs klebrige Haar. Er ertastete ein paar Pickel und nestelte in der Nase. Längst war es wieder still um ihn herum. Walter lächelte, wild zuckten seine Mundwinkel und luden die Gurkenkerne in Richtung Darm. Seine Kaumuskeln pressten die prallen Backen. Ja. Walter fühlte sich gesund. Kein Nerv belastete ihn, und seine Haarpracht schien im Schweiß der Kopfhaut zu schwimmen. Walter dachte an den Triebwagen, der auch hier vorbeikommen würde, würde die Strecke nicht stillgelegt. "Möge das nie geschehen", wollte Walter sagen, doch er verschwieg es sich, lächelte wie das altbehaßte Ebenbild, das ihm manchmal im Spiegel begegnete, und mit einem grübelnden Brauenzwinkern blickte er auf die graubraunen Schottersteine. "Wie ? Lustig ?" fragte er sich und kramte dabei den letzten dieses Morgens einer Serie von schwarzbraunen Popeln aus dem rechten Nasenloch. Prüfend drehte er ihn mit leichtem Druck zwischen Zeigefinger und Daumen seiner linken Hand, und sehr zufrieden darüber, daß er sich zu einer Kugel formen ließ, klebte er ihn im eigenen Saft auf eine Glasscheibe und versah ihn mit Stempel, Unterschrift, Datum und Uhrzeit. Walter wartete und düngte die Luft.

II.
Walter vögelte in der Nase. Wieder einmal nichts. Dick wie Schleim lag ein dichter Nebel in der weichen Luft und machte das freie Durchatmen schier unmöglich, etwa gegen 10 Uhr weichten selbst die Vogelkotstreifchen an den Scheiben auf, und Walter hechelte. So schwül es auch war, die Nase troff wieder. Mit einem kräftigen Schneuzer befreite sich Walter vom Rest der üppigen Suppe und er dachte an den Tango mit der dicken Berta, den er gestern mit hochrotem Kopf beendet hatte. Wie wohl ihm danach war, ein Glück, daß es im Rotlicht geschah. Walter blickte über die Felder. Sein Ackerstecherblick bongte auf eine Herde Ferkel. Wie gern würde er jetzt Hirte sein und zwischen diesen Ferkeln werkeln, zwischen diesen Keulen... Dort würde es sich gut keulen lassen, oh diese Hitze. Obdachlos warm war es ihm.

Walter sog an einer Nudel, die er schon ganz weichgelutscht hatte, ohne Kochen. Mit einem Feuerzeug ankokeln ließ sie sich nun nicht mehr. Wohl war es ihm nicht, als die schlappe Nudel seinen Kehlkopf streifte. Die Schnürriemen schienen auch feucht zu werden. Irgendwie fühlte sich Walter jetzt wie abgenabelt. Endlich frei fühlte er sich und rief: "Hasso. spring durchs Lasso !" Was hätte ihm das genützt. Knietief würde er drinstecken. Walter wollte an den Schlickstrand fahren, im Urlaub. Nun würde doch nichts mehr daraus. Endlich das dritte Gewittertierchen. Walter nahm seine Perücke ab wrang sie aus. Soeben abgenabelt und schon keine Haare mehr. Trotzdem. Immer einen anständigen Eindruck machen ! Gleich würde der Güterzug kommen. Walter setzte die Perücke wieder auf und griff nach einem kleinen Karton. Viele, viele Gewittertierchen. Wie schön es doch hier war ! Walter mochte nicht warten und begann zu zählen: "Einundsiebzig!" Es waren schon einundsiebzig. Die meisten waren bereits tot, doch alle schön !

Nein, die Zeit blieb hier nicht stehen. Nur der Walter. Und darum verlassen wir ihn jetzt