Brief an Sören
Brief an Sören | Text: Jim Brutto (vor 2006)
Hallo Sören,
Ich habe noch ein Foto von Deinem Urgroßvater aus Neandertal gefunden, das Du sicher schon lange schmerzlich vermisst hattest. Ich hatte es damals vor meiner Wattwanderung mitgenommen, um ein Andenken an Deine Familie zu haben. Ein Foto von Dir hatte ich damals nicht so schnell greifen können. Ich dachte, ich sollte es Dir dieses Jahr endlich zu Weihnachten schenken, damit Du es in Deiner Ahnengalerie im Internet veröffentlichen kannst. Jaja, Dein Ur-Opa war ja damals schon gut drauf, wie Du siehst. Aber irgendwie war er auch ein wenig zu gut drauf, denn er wollte seine animalischen Gelüste bei mir auslassen. Sorry, Sören, aber ich erzähle Dir jetzt die ganze Wahrheit. Zu lange habe ich geschwiegen. Doch nun es ist Zeit, daß ich reinen Tisch mache, denn lange habe ich vielleicht nicht mehr zu leben. Das Wasser steigt nämlich wegen der Polabschmelzung täglich, und bald wird es mir zum Halse stehen und ich werde absaufen. Ich weiß nicht einmal, ob ich das verdient habe, denn daß ich bei der Wattwanderung damals verschwunden bin, hatte ich so planen müssen, um meiner Strafe zu entgehen.
Das war nämlich so, daß mir Dein Ur-Opa andauernd auf die Pelle gerückt kam. Er zeigte mir nämlich auch andauernd Männerfilme und wollte, daß ich das dann ganz doll finden würde. Aber ich wollte nicht und habe mich gewehrt, als er zudringlich wurde. Ich nahm den nächstbesten greifbaren Gegenstand, als er mir wieder mal mit seinen Raffzähnen meinen Kuhstall aufmachen wollte: Es war die Fliegenklatsche Deiner Ur-Oma. Ich nahm sie und schlug so feste ich konnte immer wieder auf ihn ein. Es dauerte so cirka 10 Minuten, und Dein Ur-Opa war schon ganz verschwitzt, als er plötzlich keinen Mucks mehr von sich gab und zappelnd umkippte. Vorher traf ich noch drei Fliegen auf seinem Kopf. Dann blieb er regungslos liegen. Eigentlich stirbt man ja nicht durch Klatsche mit der Fliegenklatsche, aber bei Deinem Ur-Opa hatte ich durch Zufall die Fontanelle getroffen, die ihm seit seiner Geburt nie richtig zugewachsen war, und irgendwie hatte ich die Klatsche wohl verdreht und ihm den Stiel in den Lebensbrunnen gedippt. War danach ne richtige Sauerei am Stiel gehangen. An meinen Kuhstall ist Dein Ur-Opa dann nicht mehr gegangen, sondern verreckt. Ich bin danach abgehauen und hab allen erzählt, daß ich ne Wattwanderung machen würde. Hatte ich auch gemacht, aber ich bin nicht in nen Siel geraten. Ich hab mich ne Weile mit Pielwürmern über Wasser gehalten und bin, als die Flut kam, auf ne Hallig geraten. Nun lebe ich auf den Halligen bei den Nalligen.
Lieber Sören, forsche nicht hinter mir her. Laß mich mein Leben leben. Auch wenn ich mich Deines Urgroßvaters erwehren mußte. Machs gut und vergiß mich ruhig.
Dein bester Freund Uwe.