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Die Sache mit dem Apfelkuchen

Frische Äpfel esse ich gerne. Apfelsaft (klaren, bitte nicht trüb) trinke ich auch. Und Apfelwein auch (da sogar den Naturtrüben).

Ich aß auch mal frisch geriebene Äpfel, als Kleinkind. Ich aß auch mal Apfelgelee auf Brot. Hab alles sogar ganz gerne gegessen.

Backäpfel indes mochte ich noch nie. Apfelkuchen aß ich auch mal, Apfelmus allerdings nur manchmal, aber nie gerne. Bis zu jenem Tag, als ich vergewaltigt wurde. Oral vergewaltigt! Mit Apfelkuchen! Und das kam so:

Ich war 9 bis 10 Jahre alt und zum Geburtstag meines Klassenkameraden Gerd Keiler eingeladen. Die Familie hatte wohl einen Garten mit Apfelbäumen gepachtet. Es war ein knallheißer Sommer, und ganz ganz ganz ganz viele viele viele Äpfel waren geerntet. Die mußten wohl verwertet werden und was bot sich da besseres an als der Geburtstag des Jungen?

Ich war eingeladen und kam so nachmittags gegen ca 15 Uhr an. Es gab nur Zuckerkuchen (ganz wenig, so 3 Teile) und Apfelkuchen (ganz viel, so 24 geschnittene Teile). Und es gab mindestens zwei weitere Bleche davon.

Ich fragte, für wen die alle sind. Frau Keiler sagte "Die sind für Euch!". Ich fragte: "Für wen bitte?" "Für Euch, meine Jungen!" Außer mir waren nur Gerd (das Geburtstagkind) und ein weiterer Junge, den ich nicht kannte, da. Und die Mutter, die Oma, Gerds kleine Schwester und ich. Also nur zwei Gäste. Die holde Frau Keiler sagte: "Hier nimm ein Stück", und sie füllte mir eine Riesenportion Apfelkuchen auf. "Danke, Frau Keiler!" antwortete ich höflich, und aß das große Stück brav auf. Wie gesagt, gerne hatte ich Apfelkuchen noch nie gegessen; und wenn, dann schmeckten mir am besten die Teile, die am Kuchenrand waren, ansatzweise da wo der Teig nur vom Apfelsaft etwas durchzogen war, aber ohne Apfel drauf und bitteschön nicht zu dunkel. Aber auch nur in kleinen Maßen. Da war ich genau.

"Bitte, Frau Keiler, ich würde gerne ein Stück vom Zuckerkuchen haben. Darf ich?" "Aber ja, mein Junge, nimm ruhig. Dafür ist er doch da!" "Danke, Frau Keiler!" Gerd und der andere Junge nahmen sich auch je ein Stück Zuckerkuchen. So war dieser Teller also gleich leer.

Wir tranken Limonade und Kakao dazu, und ich mußte mir anhören, daß der Vater gerne Angeln geht, und daß das Angeln ganz toll sei. Das Angeln hat mich aber überhaupt nicht interessiert, und es war überhaupt nichts los auf diesem Geburtstag. Immer wieder Angeln, und irgendwas und immer wieder von Camping und so.
Rausgehen auf den Hof und Fußball spielen wollte der Gerd nicht. Überhaupt wollte der sich nicht viel bewegen. Man muß wissen, der Gerd war in der Schule mein Tischnachbar. Er war der fetteste Junge in der Klasse, ich glaube, sogar der fetteste an der ganzen Schule. An drei von vier Tagen hat der immer dermaßen nach Schweiß gestunken, daß es richtig unangenehm war, neben dem zu sitzen. Aber an den Tagen, wo er nicht stank, da mochte ich ihn, und wir freundeten uns ein wenig an. Privat unternahmen wir nie etwas zusammen. Deshalb war ich an diesem Geburtstag das erstemal bei ihm.

Werde groß und stark!
Ich konnte Gerd endlich überreden, doch endlich mal nach unten auf den Hof zu gehen. Da hielt er es beim Fußballspielen nicht lange aus, er begann wieder zu schwitzen. Außerdem machte das Spielen zu Dritt gar keinen Spaß. Man konnte ja nicht einmal zwei Mannschaften bilden. So dauerte es nur eine Viertelstunde, bis wir wieder oben waren, alle am kleinen Küchentisch, dessen Hälfte von Tellern mit Apfelkuchen bedeckt war. Aber hier machte es auch keinen Spass, nichts passierte, kein Lüftchen wehte, die Luft stand und Gerd stank. In seinem Kinderzimmer konnten wir nicht spielen, denn da war zu wenig Platz, und er mußte es sich teilen mit seiner kleinen Schwester. Überall lagen da Puppen und Häkelkram herum. Nicht zum Aushalten!

"Hier iss doch noch ein Stück, mein Junge". Frau Keiler hatte wohl sehr gut erkannt, daß meine Füllgrenze noch nicht erreicht war, und legte mir ein besonders großes Stück auf den Teller. "Hier iss, damit Du weiter groß wirst und stark bleibst!" Ich sagte: "Danke Frau Keiler, aber ich.." "Kein Aber! Den habe ich extra für Euch
gebacken!" In diesem Moment trug die Oma die zwei weiteren Bleche mit noch ganz warmem Apfelkuchen an den Tisch! Ich erschrak. Wer, wer wer - um Himmelswillen, sollte denn das alles noch essen? Und soo viel? Und nur Apfelkuchen, aber kein Zuckerkuchen? Mir fielen die überdimensioniert großen Backbleche auf. Die passen doch garnicht in den Backofen?! Auf meine Nachfrage gestand mir Frau Keiler, daß sie den Apfelkuchen zwar selbst
zubereitet, aber nicht selbst gebacken hätte. Die ließe nämlich sie beim richtigen Bäcker backen, weil ihr Backofen zu klein für so viele Äpfel sei.

Dafür hatte ich Verständnis. Ich fragte mich wieder, wo denn die vielen anderen Gäste bleiben, für die all der Apfelkuchen gebacken wurde. Die kamen nicht! Diese Gäste kamen einfach nicht!

Erwachsenen widerspricht man nicht - Zum Kotzen!
Frau Keiler schob mir inzwischen das - ich weiß nicht wievielte - Stück RiesenApfelkuchen auf den Teller. Aus reiner Höflichkeit hatte ich gelernt, mich nicht zu wehren, als meine Füllgrenze schon längst um das doppelte überschritten war. "Hier Junge, noch ein Stück! Den können wir doch nicht verkommen lassen" Offenbar
war ich auserwählt, den ganzen Kuchen in Ermangelung der avisierten Gäste zu verzehren. "Aber Frau Keiler, ich kann doch nicht mehr!" "Nix da, diesen einen packen wir auch noch!" Es gab kein Entkommen. Ich stopfte und stopfte und wurde gestopft, und ich fühlte, wie ein wachsendes Unbehagen von unten meine Speiseröhre hochkroch. Und dann immer wieder Camping und Fische angeln, die Luft stand und der Papa ist ein Held und hätte schon einen ganz großen Fisch gefangen, und Camping und und Apfelkuchen und Fische angeln und Apfelkuchen und die Oma und Apfelkuchen und die kleine Schwester und Apfelkuchen und
der Garten und Apfelkuchen und Karpfen und Apfelkuchen und was macht die Schule und Apfelkuchen und angelt Dein Vater nicht und Apfelkuchen und habt Ihr auch einen Garten und Apfelkuchen und was macht Dein Vater denn beruflich und Apfelkuchen und SCHMECKTS?!!!!

Es war soooo langweilig, und nur Fresserei! Dem fetten Gerd gefiel es am Tisch, der fand das Nichtspassieren toll, denn er ging keinen Meter mehr in den Hof zum Fußballspielen. Nur noch öfters mal zum Kacken aufs Klo, das im Hausflur lag und mit mehreren Familien geteilt wurde.

Ab diesem Tag war mir klar, warum der nette Gerd sooo fett und pickelig war! Inzwischen war es fast halb sieben, als ich mich endlich getraute, mich dem bereits sechsfach geäußerten "Bleib doch noch" der Mutter zu widersetzen. Ich sagte: "Ich muß jetzt aber wirklich nach Hause, Frau Keiler! Meine Eltern warten mit dem Abendessen auf mich!" Eine fette Lüge - aber was sollte ich anderes sagen? Nicht einen Bissen hätte ich mehr herunter gekriegt!

"Na gut!" Da hatte Frau Keiler ein Einsehen. Aber hier, warte, nimm doch noch diesen Apfelkuchen für Deine Eltern mit! Ich hoffe, es hat Dir bei uns gefallen! Der Apfelkuchen hat doch richtig gut geschmeckt, nicht wahr? Und soooo frisch!" Nach meinem fünften "Jaaa! Jaaaa, Frau Keiler! Und vielen Dank für alles und für den
Kuchen und so..." ließ sie mich endlich gehen, eeeendlich ließ sie mich gehen. Erlösung!


Der Heimweg
Gehen? Rückblickend würde ich eher sagen, ich habe wie ein Automat stehend meine
Beine gewegt, in Richtung nach Hause. Bis dahin waren es rund anderthalb Kilometer. Die ersten dreihundert Meter habe ich es grad noch passabel geschafft: Möglichst wenig mit dem Oberkörper schaukeln, möglichst steif gehen. Und irgendwie konnte ich sowieso nicht anders. Eine Hand hielt ich auf meine prall gefüllte Bauchdecke, die andere trug eine Tüte mit 6 Stück Apfelkuchen. Auch von Erlösung keine Spur: Stattdessen stieg ein immenser Druck in meiner gemästeten Magengegend an, der in Richtung Kopf drängte. Der wurde immer heißer, Hitze stieg in meinem Kopf auf, eine elende Hitze. Schubweise schwoll dieses Gefühl an, wurde immer mächtiger, pendelte wie ein Pingpong in mir zwischen Magen und Kopf, und ich kämpfte dagegen an. Bloss jetzt nicht brechen! Bloss nicht brechen!

Bloss nicht brechen!
Bloss nicht oooooooooooooooooo ooooooooooooooo koooo koooo koo kotz kotz kotzennnnnnnnnnnnnnnnnn
O weh! Was für eine Menge! Was für ein Gebreche! Ekelhaft! Gut, das war es jetzt. Das war es jetzt hoffentlich! Bitte lass es das gewesen sein! Das warrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr ooooooooooo kotz kooooooooooootz - der zweite Schwall.

Apfelkuchen in der Nase
Als ich zuhause ankam, hatte ich keinen Apfelkuchen mehr in der Tüte, aber in der Nase. Die Tüte hatte ich in einen Mülleimer geworfen, nachdem ich die beim dritten Erbrechen auch vollgekotzt hatte. Erbrochener Apfelkuchen war an meiner Hose, Spritzer davon auf meinen Schuhen. Ich hatte wirklich gekotzten Apfelkuchen in der Nase, mir war heiß, ich fühlte mich elend elend elend und mir war soo schlecht.

Ich zog meine stinkenden Klamotten noch im Hausflur aus, weil ich so nicht in die Wohnung durfte. Eine Nachbarin musterte mich im Treppenhaus und ich rang stinkend in Unterhose nach einer Erklärung: "Ich hab gebrochen!" Sie sagte nix und guckte mich recht seltsam an. Dann konnte ich rein, mußte aber noch ganze 10
Minuten warten, bis genug warmes Wasser zum Duschen in der Therme für die Badewanne vorhanden war. Bis dahin: gekotzte Apfelkuchenstückchen in der Nase! Der Geruch ging bald von meinem Körper, aber dieser Gestank der Apfelkuchenkotze in der Nase hat sich eingebrannt, und die Erinnerung daran hat mich nie wieder
verlassen.

Ob es mir danach endlich besser ging? Überhaupt nicht: Ich hatte wirklich richtig Fieber, meine Mutter hat's gemessen, und ich ging gleich ins Bett. Damit war aber immer noch nicht gut: Die ganze Nacht lang habe ich noch ein paar weitere Mal gekotzt, bis zum Sonntagmorgen. Es war einfach nur noch ekelhaft.

Und heute?
Das Angeln interessiert mich auch heute absolut nicht. Das ist für mich tatenloses Zusehen. Das ist wie "Warten auf Godot". Wenn mir heute jemand etwas mit warmen Äpfeln serviert, kann ich es nicht ertragen. Ich muß sogar das Zimmer verlassen, wenn ich Apfelkuchen im Backofen rieche.
Weil mir dann immer noch schlecht wird und ich mich sehr beherrschen muß, um nicht wieder zu erbrechen. Ich sage es direkt! Mental habe ich eine echte Allergie! Denn dieser Geruch, schon alleine der Gedanke daran, ruft bei mir Ekel und Würgereize hervor. Ein Trauma! Dann sitze ich augenblicklich wieder als Neunjähriger vor dem Geburtstagskuchen.

Wer mich zum Essen einlädt - hier die Warnung! Deshalb bitte ich jeden, der mich zu einem Essen einlädt, schon vorher, mir nichts dergleichen mit Äpfeln zu servieren. Auch nichts mit Pflaumenkuchen. Der hat die gleiche Wirkung bei mir. Es sei denn, er will mich vergiften! Würde ich das hier nicht sagen, müßte ich zumindest die Essensannahme verweigern. Definitiv. Das würde natürlich als Unhöflichkeit ausgelegt werden können, weil sich jemand soviele Mühe gemacht hat und sein mit soo viel Liebe produziertes Zeugs (Sorry, das Gefühl nähert sich wieder) auftischen möchte.

Gewiß könnte man jetzt eine Diskussion darüber anstoßen, ob ich denn nicht therapierbar sei. Ich könnte mich vielleicht stückweise wieder an diesen Geruch und Geschmack heranlieben.Sorry, nein, ich bin nicht therapierbar! Und will es auch nicht sein. Und um welchen Preis auch? Ich gefährde mit meiner Abneigung gegen Apfelmus & Co ja niemanden, und zum Glück (zu MEINEM Glück) gibts es noch so viele andere leckere Sachen, außer ... ... Pflaumenmus, gekochtem Obst, Meeresfrüchten, Schnecken, Muscheln, Nieren, Lungen, Kalbsbries, Hirn, Hoden, Kutteln, Kürbis ... ... ach, noch etwas: versucht ja nicht, mir industriell hergestellte Lebkuchenoblaten unterzuschieben. Die ess ich nur dann, wenn da kein Apfelmark drin ist. Selbst wenn ich es nicht schmecken würde. Verweigerung total und purer Ekel! Das erste, was ich immer lese, bevor ich die kaufe, ist nämlich die kleinstgedruckte Zutatenliste! Und bitte auch kein Rotkraut bzw Rotkohl mit Apfel! Igitt!
Oder gefüllte Gans mit Apfel. Dreimal NEIN! Ich bitte also um Verständnis:

Apfelkuchen ist nie wieder mein Ding!