Ein Kind für den Unfall
Am Anfang meiner Berufstätigkeit war ich mehrere Jahre als selbstständiger Versicherungskaufmann unterwegs - überwiegend in Norddeutschland und ohne festen Distrikt. Das bedeutete viel Herumreisen, heute hier, morgen da. Dieser Job war alles andere als mein Traumjob, aber ich machte ihn, um meine Ehefrau und meine damals zwei (heute drei - und alle längst volljährigen) Kinder ernähren zu können. Mein Studium der Innenarchitektur hatte ich deshalb abgebrochen. (Das war vielleicht nicht die richtige Entscheidung.)
Eines Abends hatte ich einen Termin irgendwo in der Nähe von Kalletal (zwischen Rinteln und Lemgo) bei einem Familienvater, einem Dachdecker, der eine Unfallversicherung für die ganze Famile abschloss. Die Leistungen konnten individuell vereinbart werden. Ich erinnere mich noch so genau daran, weil der Mann den Unfalltod jedes Kindes mit einer ungewöhnlich hohen Summe - es waren zehn- oder zwanzigtausend DM (Euro gab es damals noch) - versicherte, und ich fragte, warum. Ob etwa seine Kinder irgendwelchen außergewöhnlichen Risiken etwa beim Sport ausgesetzt seien.
Das nicht, meinte er, und er kam auf die Zahl seiner Kinder zu sprechen: "Der Tod ist doch nichts Ungewöhnliches. Auch wenn man das nicht mag. Da kann immer etwas passieren. Ich habe drei Kinder - und ich sage Ihnen auch warum. Man braucht drei Kinder: Eines heiratet weg, eines führt die Familie mit Nachkommen fort, und eines für den Unfall !" Ich dachte, ich höre nicht richtig: "Ein Kind für den Unfall ? Ja, rechnen Sie denn damit?" "Aber ja. Zwar nicht direkt, aber wenn man sich so umhört und die Statistiken liest, dann weiß man doch, dass viele Kinder bei Unfällen sterben!"
Das machte mich sprachlos, und ich gestehe, ich bin es noch heute.